AGARP: Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem betrachten

Die antisemitischen Demonstrationen und Vorfälle der letzten Woche in vielen deutschen Städten haben uns alle sprachlos und geschockt zurückgelassen. Antisemitismus und generell jede Form der Menschenfeindlichkeit ist eine Grenzüberschreitung, die wir verurteilen und die in unserer Gesellschaft keinen Platz hat.Aggressive Demonstrationen vor Synagogen, Fahen verbrennen, antisemitische Parolen sind nichts, was wir in unserer Gesellschaft akzeptieren können. Wir verurteilen dies scharf und hoffen hier auf eine vollständige juristische Aufklärung und deutliche Konsequenzen. Gleichzeitig erschrecken uns auch einige Äußerungen von Ministern der Bundesregierung. Es wird bewusst der Eindruck erzielt, Antisemitismus sei ein importiertes Problem. Dies ist nicht nur bedenklich, es ist auch faktisch falsch. Leider finden sich antisemitische Ressentiments in jeder Bevölkerungsgruppe oder -schicht. Antisemitismus ist in der westeuropäischen Gesellschaft seit Jahrhunderten tief verwurzelt und kein Problem, welches von außen nach Europa, besonders nach Deutschland, getragen wurde. Übergriffe mit antisemitischem Hintergrund gibt es tragischerweise in der ganzen Bundesrepublik, jedes Jahr, fortlaufend. Die Verbreitung von antisemitischen Verschwörungserzählungen hat über die Zeit der Coronapandemie nur zugenommen. Hier nun reflexartig auf eine Bevölkerungs- bzw. Religionsgruppe zu zeigen und das Problem nur dort zu suchen, ist kurzsichtig, falsch und schafft nur neue Ressentiments. Weder die Ursache noch die Lösung kann bei einer Bevölkerungs- bzw. Religionsgruppe gesucht werden. Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und muss auch als solches behandelt werden. Besonders bedauern wir, dass das lang diskutierte Demokratiefördergesetz immer noch nicht beschlossen ist. Wir rufen die Bundesregierung auf endlich dieses längst überfällige Gesetz zu verabschieden und somit einen wirkungsvollen Beitrag zur Bekämpfung von antisemitischen und antidemokratischen Tendenzen zu leisten. Wir fordern daher zu einer sachlichen und Lösungsorientierten Debatte auf und verurteilen jegliche Versuche, verschiedene Gruppierungen zu diskreditieren oder gegeneinander auszuspielen.

Internationaler Tag der Roma am 8. April: Netzwerk diskriminierungsfreies RLP fordert unabhängige Expert:innenkommission „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ in Rheinland-Pfalz

Das Netzwerk diskriminierungsfreies Rheinland-Pfalz begrüßt, dass Deutschland mit Beschluss des Bundeskabinetts vom 31. März 2021 die von der „Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken (IHRA)“ formulierte Arbeitsdefinition von „Antiziganismus“ gebilligt hat. Sie soll es künftig erleichtern, die verschiedenen Facetten und Ausformungen des Antiziganismus als eine bestimmte Form von Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung zu erkennen, zu analysieren, anzugehen und zu überwinden.

Die Arbeitsdefinition der IHRA lautet: „Antiziganismus manifestiert sich in individuellen Äußerungen und Handlungen sowie institutionellen Politiken und Praktiken der Marginalisierung, Ausgrenzung, physischen Gewalt, Herabwürdigung von Kulturen und Lebensweisen von Sinti und Roma sowie Hassreden, die gegen Sinti und Roma sowie andere Einzelpersonen oder Gruppen gerichtet sind, die zur Zeit des Nationalsozialismus und noch heute als „Z…“ wahrgenommen, stigmatisiert oder verfolgt wurden bzw. werden. Dies führt dazu, dass Sinti und Roma als eine Gruppe vermeintlich Fremder behandelt werden, und ihnen eine Reihe negativer Stereotypen und verzerrter Darstellungen zugeordnet wird, die eine bestimmte Form des Rassismus darstellen.

Antiziganismus hat nicht erst mit der NS Zeit begonnen und hat nach der NS-Zeit nicht aufgehört zu exis-tieren. Er ist bis in die Mitte von Politik und Gesellschaft europaweit nach wie vor allgegenwärtig: „Sinti und Roma sind immer wieder Benachteiligungen ausgesetzt und werden oftmals Opfer antiziganis-tisch motivierter Straftaten – von Beleidigungen und Bedrohungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen und Anschlägen. Eine umfassende Dokumentation, die konsequente Benennung und politische Verurtei-lung antiziganistischer Vorkommnisse und Phänomene ist für eine Änderung der Bilder und der Haltungen in der Gesellschaft unabdingbar. Es ist dringend geboten, den Antiziganismus mit all seinen Vorurteils-strukturen als durchgreifendes gesellschaftliches Problem zu begreifen und institutionell zu bekämpfen“, sagt Jacques Delfeld Senior, der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Rheinland-Pfalz. Der Verband ist eine der Mitgliedsorganisationen im Netzwerk diskriminierungsfreies Rheinland-Pfalz.

Zwei Beispiele:

·         Nach der von der Arbeitsgemeinschaft „RomnoKher“ kürzlich veröffentlichten Studie „Ungleiche Teilhabe“ besteht die Benachteiligung von Sinti und Roma im deutschen Bildungssystem unverändert fort. 40 Prozent der insgesamt über 600 befragten Erwachsenen berichten demnach von Diskriminierungen ihrer Kinder durch Lehrkräfte und Mitschüler*innen. Sie haben unmittelbar negative Auswirkungen auf das Zugehörigkeitsgefühl der Betroffenen und mittelbar auf ihren Bildungserfolg: Mit 15 Prozent liegt die Quote von Schulabbrecher:innen ohne Abschluss bei Sinti und Roma noch immer mehr als doppelt so hoch wie im bundesweiten Durchschnitt.

·         Die Zahl antiziganistischer Straf- und Gewalttaten ist in letzten Jahr nach Angaben der Bundesregierung gegenüber 2019 um über 58 Prozent angestiegen. Bundesweit wurden – bei hoher Dunkelziffer – insgesamt 128 solcher Delikte in der Kriminalstatistik erfasst; fast alle waren rechts motiviert. Für Rheinland-Pfalz verzeichnet die Bundesregierung mit insgesamt 17 einschlägiger Delikte eine besondere Häufung.

Das Netzwerk diskriminierungsfreies RLP betont, dass der Billigung der Arbeitsdefinition von „Antiziganismus“ durch das Bundeskabinett auf allen Ebenen – also auch in Rheinland-Pfalz – schnell weitere Schritte folgen müssen: „Es muss jetzt darum gehen, auf einer wissenschaftlichen Grundlage zu arbeiten, belastbare Erkenntnisse zu gewinnen und dadurch zielgerichtetes politisches und gesellschaftliches Handeln zu ermöglichen. Hierzu gehören die Erfassung antiziganistisch motivierter Straftaten, die Beobachtung von Antiziganismus in den Medien und dessen Auswirkungen auf die Einstellungen in der Bevölkerung und die Erstellung von verlässlichen und gut aufbereitetes Bildungsmaterial zum Thema Sinti und Roma für Schulen und Bildungseinrichtungen“, sagt Jacques Delfeld Senior. „Weil Antiziganismus auf vielfältige Art und Weise mit anderen Vorurteilsstrukturen und Ungleichbehandlung verwoben ist, sollte dabei ein inter-sektionaler Forschungsansatz gewählt werden.“

Das Netzwerk diskriminierungsfreies Rheinland-Pfalz weist auf den diesbezüglichen Handlungsbedarf hin und spricht sich für die Bildung einer unabhängigen Expert:innenkommission „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ in Rheinland-Pfalz aus. Sie soll sich künftig wissenschaftlich mit allen Dimensionen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit befassen und der Landesregierung in einem regelmäßigen Bericht konkrete Handlungsempfehlungen zu deren Überwindung an die Hand geben.

Mit der Initiative zur Einrichtung einer solchen unabhängigen Expert:innenkommission in der nächsten Legislaturperiode ist das Netzwerk an die drei Parteien herangetreten, die derzeit über die Bildung einer Landesregierung verhandelnden. Ebenso mahnt das Netzwerk bei ihnen die Vereinbarung eines Landesgleichbehandlungsgesetzes an, das allen Rheinland-Pfälzer:innen Schutz vor Diskriminierung in denjenigen Bereichen garantiert, die der ausschließlichen Regelungskompetenz der Länder unterfallen.

gez.

•             Torsten Jäger (Mitglied der Koordinierungsgruppe)

•             Nadya Konrad (Mitglied der Koordinierungsgruppe)

•             Joachim Schulte (Mitglied der Koordinierungsgruppe)

•             Stephan Heym (Mitglied der Koordinierungsgruppe)

Hintergrund: Das Netzwerk diskriminierungsfreies Rheinland-Pfalz ist ein Zusammenschluss von rheinland-pfälzischen Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Initiativen, die sich als Interessensvertretung von Betroffenengruppen in der Antidiskriminierungsarbeit engagieren. Ihn gehören die Arbeitsgemeinschaft der Beiräte für Migration und Integration RLP (AGARP), der Humanistische Verband Deutschlands-Landesverband RLP/Saarland, der Initiativausschuss für Migrati-onspolitik in RLP, die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter RLP, der Landesfrauenbeirat RLP, der Landesju-gendring RLP, die Landesseniorenvertretung RLP, der Landesverband jüdischer Gemeinden RLP, das Netzwerk Gleichstel-lung und Selbstbestimmung in RLP, QueerNet RLP, der Verband Deutscher Sinti und Roma VDSR – Landesverband RLP und das Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ZsL Mainz) an.

8. März – Weltfrauentag: Es gibt noch viel zu tun!

Auch 110 Jahre nach dem ersten Frauentag sieht der Landesverband der kommunalen Beiräte für Migration und Integration in Rheinland-Pfalz (AGARP) noch eine weite Strecke bis zur Schaffung einer wirklichen Geschlechtergerechtigkeit. Dies werde beispielsweise noch immer beim Gehalt deutlich: „Der Bruttostundenlohn von Frauen liegt hierzulande durchschnittlich 19 Prozent unter dem der Männer. Damit nimmt Deutschland im europäischen Vergleich eine Spitzenposition ein. Dass Frauen auf dem Gehaltszettel deutlich schlechter abschneiden ist strukturbedingt: sie arbeiten öfters in Teilzeit und in niedrig bezahlten Branchen, die sich jedoch gerade in der Coronakrise vielfach als systemrelevant bewiesen haben. Doch auch bei gleichen Bedingungen und gleicher Qualifikation schneiden Frauen beim Lohn immerhin noch sechs Prozent schlechter ab als ihre männlichen Kollegen“, heißt es in der Pressemitteilung der AGARP. Auch seien es vor allem Frauen, die in der Coronakrise Arbeitszeiten und Gehalt reduzieren, wenn Kita und Schule schließen müssen. Der Anteil der Familien, in denen die Frau die Kinderbetreuung beinahe vollständig allein trägt, habe sich in der Pandemie sogar verdoppelt.

Mit großer Besorgnis blickt der Landesverband auch auf die Zunahme der Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Hier seien die Zahlen schon vor Corona mehr als alarmierend gewesen und die Hilfeinfrastruktur oftmals an der Belastungsgrenze. Ein dramatischer Anstieg sei in den vergangenen Jahren auch bei der weiblichen Genitalverstümmlung (Female Genital Mutilation – FGM) zu beobachten: „Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass es sich hierbei um ein Problem des afrikanischen Kontinents handele. Schätzungen zufolge leben hierzulande rund 15 000 Mädchen, die von FGM gefährdet sind. Betroffene Frauen haben ein Leben lang mit den körperlichen und psychischen Folgen einer Genitalverstümmlung zu kämpfen“, erklärt die AGARP weiter.

Mit Blick auf das Superwahljahr 2021 stellt der Landesverband daher klare Forderungen an die Politik: „Wir erwarten eine konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention und einen ausreichenden Schutz vor Gewalt, wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des Lohndefizits und der finanziellen Benachteiligung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist auch hier die Messlatte.“

Briefwahl: So funktioniert’s

Aufgrund der anhaltenden Pandemie ist abzusehen, dass die Briefwahl diesmal sehr gefragt sein wird.

Wie genau die Briefwahl funktioniert, welche Parteien zur Landtagswahl antreten und was der Unterschied zwischen Landes- und Wahlkreisstimme erfahrt ihr in unserem FAQ zur Landtagswahl.